In meiner heutigen Ausgabe «Selbstständig werden» möchte ich Euch Lebenskünstlerin Céline Frei vorstellen. Ihr Nachname passt perfekt zu ihr: Sie ist nicht nur freischaffend, sondern auch ein Freigeist durch und durch.
Wir haben uns per Zufall kennengelernt. Ich habe über die Facebook-Gruppe «Will öpper» Modedesign-Bücher verschenkt und Céline hat sich gemeldet. Sie kam die Bücher abholen und wir haben uns «verquatscht». Unser gemeinsames Interesse an textilen Arbeiten und die Selbstständigkeit hat uns sofort verbunden. Wir sind in Kontakt geblieben und ich konnte Ihr sogar einen kleinen Auftrag für den nachhaltigen Webshop The Mint Corner vermitteln.
Ich finde es immer wieder bewundernswert, wie Céline ihrer Leidenschaft, dem textilen Arbeiten nachgeht. Ich habe aber das Gefühl, dass es ihr nicht primär um die Arbeit als Freelancerin geht, sondern, dass es viel mehr um eine Lebenseinstellung, die sie praktiziert.
Dem wollte ich auf den Grund gehen und habe sie zum Interview geladen.
Wie lange bist Du schon selbstständig erwerbend und mit was verdienst Du genau Dein Geld?
Seit zwei Jahren bin ich selbstständig erwerbend. Ich verdiene mein Geld mit verschiedenen Näharbeiten. Ich nähe und flicke auf Auftrag Kleidungsstücke und andere Textilien, kreiere praktische Utensilien für den Alltag und mache Prototypen für kleine Produktionen . Zudem biete ich selbst genähte Produkte (Stoffbinden, Kissen mit Naturmaterialien als Füllung, Stoffbeutel und mehr), sowie eine selbstgemachte Zuckerpaste zum Enthaaren in meinem Onlineshop an.
Nachhaltigkeit in der Arbeit ist mir wichtig, deswegen nähe ich vieles aus Resttextilien. Ästhetik und Funktionalität stehen an oberster Stelle. Das Produkt soll ästhetisch sein und sich gut und gern im Alltag verwenden lassen.
Wie bist Du dazugekommen; war es mehr Zufall, oder ein Plan, eine Vision, eine Strategie?
Ursprünglich lernte ich Zahntechnikerin. Schon da bestand mein Alltag aus Handwerk mit verschiedenen Materialien. In präziser Handarbeit wurden Stahldrähte, Kunststoff und Gips zu Zahnspangen verarbeitet- je nach Auftrag- so wie es der Zahnarzt wollte.
Ich habe mir den Ausstieg aus dem Hamsterrad erlaubt
Nach 9 Jahren kündigte ich mein Anstellungsverhältnis. Diese Art, wie ich meine Tage und Jahre verbrachte, stimmte für mein Leben nicht mehr. Ich habe mir einen Ausstieg aus dem Hamsterrad erlaubt. Nach wenigen Monaten wurde ich angefragt, ob ich einen bezahlten Nähauftrag annehmen würde. Das war der Anfang. Es war nicht geplant, aber irgendwo gewollt!
Einen Plan für die Selbstständigkeit hatte ich nicht- das war nicht mein Fokus. Mir war aber klar, dass ich irgendwie Geld verdienen musste, um meine Rechnungen zu bezahlen, wenn ich meine Anstellung kündigte.
Ein Jahr arbeiten, zwei Jahre davon leben, das geht!
Also hatte ich im letzten Jahr meiner Anstellung die Hälfte meines Gehalts auf die Seite gelegt, damit ich ein weiteres Jahr nach der Kündigung davon leben könnte. Das hat mir richtig Spass gemacht. Weil es funktionierte! Ein Jahr arbeiten, zwei Jahre davon leben. Wieso hat mir das niemand früher gesagt, fragte ich mich? Einfach Mal so tun, als hätte man nur die Hälfte des Geldes zu Verfügung und dann hat man das zweite Jahr die andere Hälfte ohne arbeiten zu müssen.
Natürlich musste ich mein Umgang mit dem Geld schon etwas anpassen: Ich strich dafür radikal viel aus meinem Leben. Meine Fixkosten bestanden nur noch aus Krankenkasse und Haftpflichtversicherung, Handyrechnung, die Miete von einem Zimmer und die Billagrechnung. Ich verzichtete auf irgendwelche Abos, auf Kaffee auswärts und jegliche Neukäufe.
Was sich nach Verzicht liest, hat mir eine unvorstellbare Freiheit verliehen. Ich habe mich selten so sehr frei gefühlt wie in dieser Zeit, auch wenn das schwer vorzustellen ist. Durch diese Freiheit hat sich meine Selbstständigkeit entwickelt. Ich hätte ohne sie gar nicht den Kopf und die Musse dazu gehabt.
Wolltest Du schon immer selbstständig erwerbend sein?
Nein, das war nie mein bewusstes Ziel.
Ich wollte in erster Linie aussteigen (siehe vorherige Frage), nachdem ich das Buch «Ich bin raus» von Robert Wringham gelesen hatte. Ich hatte richtig Spass dabei.
Ich lebe von Monat zu Monat und bin offen für Neues
Einen Plan hatte ich nach wie vor nicht wirklich, aber im Unterbewusstsein schwirrten vielleicht schon gewisse Ideen und Vorstellungen herum. Ich lebe von Monat zu Monat und bin offen Neues. Eine Anstellung schliesse ich nicht aus. Für mich ist es wichtig, etwas sinnvolles zu machen, das Freude bereitet. Ob das in einer Anstellung oder selbstständig ist, ist für mich zweitrangig.
Wie hat Dein Umfeld auf Deine Entscheidung, Dich selbstständig zu machen, reagiert?
Viele fanden es mutig und waren ein wenig überrascht, meist positiv. Einige konnte ich sogar inspirieren und viele unterstützen mich, indem sie bei mir Näharbeiten machen lassen oder Produkte für sich oder als Geschenk bestellen. Meine Mama hat eher besorgt reagiert und fragt mich noch immer in regelmässigen Abständen, ob ich nicht nebenbei eine Anstellung suchen möchte.
Gab es einen Schlüsselmoment, wo Du wusstest «Jetzt habe ich es geschafft»?
Es gibt immer wieder Momente, in denen ich denke: «es funktioniert». Dann gibt es wieder die anderen Tage, an denen ich nicht weiss, wovon ich den nächsten Monat lebe. Es ist ein stetiger Wandel und es kann durchaus sein, dass ich ab und zu eine Anstellung nebenbei annehmen werde.
Für mich ist die Art zu Leben der Hauptfokus
«Jetzt habe ich es geschafft» würde ich nicht so sagen, weil ich kein Ziel vor Augen hatte. Für mich ist es viel mehr meine momentane Art zu leben, die mir wichtig ist. Das mache ich, und das funktioniert.
Was waren die grössten Hürden auf diesem Weg?
Die grösste und kontinuierlichste Hürde ist für mich den Preis einer Arbeit zu nennen. Ich stehe für faire Bezahlung und zum Teil kostet eine Arbeit das x-fache, als was sie in einem Geschäft, welches Massenware produziert, kosten würde.
«Kann ich für ein Necessaire über 100 Stutz verlangen?
Es kommen moralische Fragen auf, wie: «Kann ich für ein Necessaire über 100 Stutz verlangen?» Ich versuche mich preislich in einem Segment zu bewegen, in dem meine Arbeit fair bezahlt wird und der Kunde den Preis gerne bezahlt, weil er die Arbeit schätzt und ihm lokales Handwerk und Qualität wichtig ist.
Was sind die schönsten Momente in Deinem Berufsalltag?
Ich liebe es, dass ich meine Arbeitszeiten mehr oder weniger frei gestalten kann. Ich geniesse auch die Herausforderungen, die neue Arbeiten und Aufträge mit sich bringen. Wenn ich merke, dass mein Handwerk benötigt wird, und ich die bestmögliche Variante finde, eine Idee umzusetzen. Ganz grundlegend: gebraucht und geschätzt zu werden.
Denkst Du, es ist schwieriger, sich als selbstständig erwerbende Frau zu behaupten? Gibt es eventuell auch Vorteile, oder hast Du das Gefühl, dass das Geschlecht keine Rolle spielt?
Das ist schwierig zu beantworten, ohne in ein Genderfettnäpfchen zu treten. Vielleicht kommt es auf die Berufsbranche an. Ich habe mich das nie gefragt und auch nie hinterfragt, ob es daran scheitern könnte. Ob es schwieriger ist? Ich war nie als Mann selbstständig, keine Ahnung, wie das als Mann ist.
Ich denke, wenn man seine Arbeit gut macht, macht man sie gut. Und es liegt bei einem selbst, seine Kompetenzen zu kennen. Da können wir Frauen von den Männern was abgucken: selten sehe ich einen Mann, der sein Können klein redet, wie das Frauen oft machen.
Wir Frauen können das genauso. Ich finde nicht, dass wir müssen, aber wir können, wenn wir wollen. Geschlecht sollte dabei keine Rolle spielen.
Ich würde sagen, dass ich eher Vorteile habe als Frau. Ausser vielleicht, dass ich keinen bezahlten Mutterschaftsurlaub haben werde.
Was würdest Du Frauen empfehlen, die sich gerne selbstständig machen möchten?
Tauscht Euch mit anderen aus, die den Schritt gewagt haben, um Infos, Tipps und Unterstützung zu holen. Netzwerken ist sehr wichtig. Aber auch für Dinge wie den Papierkram: «Wie schreibe ich Rechnungen, wo und wie melde ich meine Firma an?».
Ein guter Start ist, tatsächlich zu starten
Ein guter Start ist, tatsächlich zu starten. Lieber die Richtung nach und nach justieren, als sich selbst zu blockieren und erst den perfekten Plan machen zu wollen. Ich würde sagen: Beginn mit dem, was für Dich gerade stimmt. Und bei einer Sackgasse holst Du Rat. Plane nicht alles schon im Voraus durch, es kommt sowieso anders.
Danke liebe Céline für die spannenden Einblicke, Du bist sehr inspirierend und es freut mich, dass Du meiner Leserschaft und mir von Deiner Selbstständigkeit erzählt hast.